Nutzen statt Besitzen

31.07.2019

Prada setzt auf Recycling. Allerdings wird dies häufig mit Kreislaufwirtschaft verwechselt. Letztere befindet sich derweil in einer vielversprechenden Testphase.

„Weniger schlecht ist noch lange nicht gut.“ Diese Worte hallten noch lange in meinem Kopf nach einem überaus inspirierenden Gespräch mit dem wohl bekanntesten Namen Luxemburgs in Sachen „Economie Circulaire“, auf Deutsch Kreislaufwirtschaft: Herrn Romain Poulles von PROgroup.

Alles fing ganz harmlos an: Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass Lorenzo Bertelli, der Erbe vom Prada-Modekonzern, der vor zwei Jahren entschieden hatte, seine Karriere als Formel-2-Pilot an den Nagel zu hängen, um sich dem Familienunternehmen zu widmen, in Zukunft auf RE-Nylon setzt. Dieser neue Stoff setzt sich aus den Plastikabfällen und den Fischernetzen aus dem Meer so wie auch den Abfällen aus der Textilindustrie zusammen. RE-Nylon soll das Wort Recycling und die Säuberung unseres verschmutzten Planeten nun also auch luxustauglich machen.

In der Tat vergeht kaum ein Tag, an welchem wir nicht durch entsetzliche Bilder unserer Weltmeere und der darin leidenden Fauna (und Flora) aufgerüttelt werden: von, in Fischernetzen verfangenen, Schildkröten bis hin zu Vögeln, die sich mit Plastikabfällen vollgestopft haben und daran elendig zu Grunde gehen. Die Liste unserer Abfälle in der Natur, seien es nun solche aus Plastik, Aluminium oder andere Stoffe, die sich in der Natur nicht von heute auf morgen oder sogar gar nicht auflösen, ist beschämend lang.

Die Erkenntnis, dass wir in den letzten 100 bis 200 Jahren unseren Planeten übel zugerichtet haben und dass dringend etwas getan werden muss, macht sich allerdings endlich auch zunehmend in unserem Bewusstsein breit. Sie inspiriert nicht nur die Ökologen, sondern nun auch vermehrt die Vertreter der Wissenschaft und sogar der Volkswirtschaft.

Prada setzt demnach auf Recycling, ein Konzept das viele – so wie ich bis vor kurzem auch – mit dem der Kreislaufwirtschaft verwechseln. Allerdings repräsentiert Recycling, wie Romain Poulles erklärt, die Variante „weniger schlecht“. Die wenigsten Stoffe – und schon gar nicht jene, die wir transformiert haben – lassen sich unendlich bzw. ohne negative Konsequenzen recyceln. Insbesondere im Falle eines Polymeres, also aus mehreren Elementen zusammengesetzten Kunststoffes, sind wir rasch am Ende der Kette angelangt.

Wir befinden uns hier also noch nicht in der Economie Circulaire sondern immer noch in der Economie Linéaire. In dem Moment, in dem der Teufel seine Luxus-Jacke nicht mehr nutzen und also entsorgen möchte, stellt sich die Frage: Wie kann ich diesen Stoff wieder so auseinander nehmen, dass die einzelnen Elemente naturverträglich verschwinden, beziehungsweise der Natur sogar nutzen?

Wohlwissend, dass das Verbrennen unserer Abfälle, auch der Re-Nylon Jacke, keine nachhaltige Lösung darstellt, denn auch die Aufnahmebereitschaft des Himmels, so unendlich weit er uns auch erscheinen mag, ist bekanntlich begrenzt. Dem Teufel wird es wohl egal sein, den zukünftigen Generationen, deren Überleben von einer gesunden Fauna und Flora abhängt, aber nicht.

Wie der Name es bereits verrät, orientiert sich die Economie Circulaire an einem Kreislauf, ähnlich dem der Natur: In der freien Natur gibt es nämlich keinen Abfall, da alle durch einen Organismus verarbeiteten Rohstoffe der Natur wieder so zugefügt werden, dass die dort wiederum einen Nutzen erzeugen.

Der Begriff Nutzen ist im Konzept der Kreislaufwirtschaft zudem ein überaus wichtiges Element: Wie sonst sollte man die verschiedenen Wirtschaftsakteure davon überzeugen das Konzept zu adoptieren? Am Ende muss schließlich Geld verdient werden, um Arbeitsplätze und Existenzen zu sichern.

Was wäre, wenn wir nicht mehr die Glühbirne kaufen, sondern das Licht? Oder die Fahrt, anstelle vom Auto? Die Waschgänge anstelle der Waschmaschine? Die luftreinigenden Eigenschaften eines Teppichs mieten, anstelle den Teppich zu kaufen? Die Unterhaltung eines Films oder der Musik genießen, anstelle die DVD oder die CD, bzw. Vinyl-Schallplatte zu besitzen?

So absurd diese Ideen auf den ersten Blick erscheinen mögen: Diese Konzepte und Firmen, die damit durchaus Geld verdienen, gibt es bereits und viele Namen werden Sie kennen: Véloh, Bla Bla Car, Uber, Netflix, Spotify, Tarkett, Interfloor, Philipps, AirBnB … vielleicht kennen Sie ja sogar auch die charmante Alix Bellac mit ihrer luxemburgischen Startup Firma dressinthe.city, die hochwertige Kleider und ihre Accessoires für besondere Anlässe vermietet.

Glühbirnen und viele andere Produkte haben bewusst eine begrenzte Lebensdauer (geplante Obsoleszenz), da nur so das Überleben einer Firma mit ihren Arbeitsplätzen und allem was dazugehört, gewährleistet ist. Vermietet die Firma allerdings den Nutzen ihrer Produkte und nicht mehr das Produkt selbst, dann hat sie auf einmal großes Interesse daran, dass das Produkt lange haltbar (und reparierbar) wird und nicht als unnützer Abfall in irgend einer Form in der Natur landet und damit die dafür genutzten Rohstoffe unwiederbringlich zerstört.

Philipps hat sich, nach vielem Hin und Her, vor drei Jahren auf das Experiment eingelassen: Der deutsche Architekt Thomas Rau wollte nicht deren Glühbirnen sondern nur die Lumen, also das Licht. Heute nennt sich dieses Konzept bei Philipps: „light as a service“ und siehe da: Diese Glühbirnen gehen auch nicht (oder kaum) kaputt.

Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung, doch die jüngere Generation – das sind aus meiner Perspektive die 20-30 jährigen – zeigen uns bereits, wohin die Wirtschaft tendieren könnte: weg vom Besitz, hin zum Nutzen. Warum ein Auto kaufen, wenn ich nur von A nach B kommen will, warum eine CD kaufen, wenn ich die Musik ballastfrei streamen kann …

Warum sollte man sich den Hauskeller vollstellen mit Schubkarren, Leitern, Bohrmaschinen, usw., Geräte, die man auf die gesamte Lebensdauer gesehen, recht selten nutzt, wenn man sie auch beim netten Nachbarn gegen eine gute Flasche Wein und ein angenehmes Gespräch oder aber an einer zentralen Stelle gegen ein kleines Entgelt mieten kann? Eine Bohrmaschine wird zum Beispiel nur 17 Minuten in der Lebenszeit ihres Besitzers genutzt, doch fast jeder Haushalt besitzt eine. Denken Sie einfach einmal nur an all die Rohstoffe, die für den Bau einer solchen Maschine (oder von allem, was wir im Alltag benutzen) benötigt werden.

Ein weiteres Konzept der Economie Circulaire ist, dass jedes Produkt so gestaltet wird, dass es jederzeit neuen Gegebenheiten flexibel angepasst, verbessert, repariert oder verlagert werden kann. So können z.B. Parkhäuser, die auf einmal nicht mehr benötigt werden (eine realistische Vorstellung, wenn man bedenkt, dass wir kurz vor dem Durchbruch des autonomen Fahrzeugs stehen), entweder abgetragen und woanders wieder aufgebaut, zu einem Wohnhaus, Bürogebäude aufgewertet oder für andere Zwecke umgebaut werden. Das finale Ziel der Economie Circulaire ist, dass ein Rohstoff unendlich einsetzbar ist. Auf diese Weise wird der Planet nicht weiter ausgebeutet, woraus letztlich auch keine Abfälle mehr entstehen – die am Ende auch nicht mehr recycelt werden müssen.

Alle diese Elemente der Economie Circulaire die ich in diesen Zeilen beschrieben habe, sind keine Utopie: einige davon befinden sich im Moment in einer durchaus vielversprechenden Testphase. Für andere Firmen – wie zum Beispiel Netflix – ist dieses Geschäftsmodell bereits ein Milliardengeschäft. Idealerweise entsteht bei jedem einzelnen Eingriff am Ende nicht nur ein Nutzen für den Anbieter und seinen Kunden, sondern auch und für allem für die Umwelt. Das Firmengebäude von Romain Poulles beispielsweise hat die Biodiversität des Geländes nicht beeinträchtigt, sondern gesteigert. Dort ist nicht nur jedes einzelne Objekt von Nutzen für die Mitarbeiter; grüne Hauswände und Dächer vervierfachen die Natur-, bzw. Nutzfläche für Insekten und Bienen die hauseigenen Honig produzieren, Obstbäume, Kräutergarten und ein eigener Kinderhort runden das Konzept ab.

Es könnte demnach tatsächlich sein, dass die Lösung der durch die industrielle Revolution verursachten Umweltkatastrophe am Ende auch aus der Wissenschaft, der Industrie und der Wirtschaft kommt. Herr Poulles glaubt jedenfalls an die Kraft der Ansteckung und die dazugehörige Verdopplungstheorie: wenn jeder, der vom Economie Circulaire Virus infiziert ist, täglich eine Person ansteckt, die wiederum einen ansteckt … wie lange wird es wohl dauern, bis 7,7 Milliarden Menschen davon überzeugt sind?

Artikel in der Revue von Nathalie Meier-Hottua, Wealth Manager bei CapitalatWork Foyer Group.

 

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