Nach einer beeindruckend starken ersten Jahreshälfte brauchten die Märkte im dritten Quartal eine Verschnaufpause. Am Kapitalmarkt wurde das Zukunftsszenario, aufgrund einer Reihe grundlegender und in Wechselwirkung stehender Veränderungen der makroökonomischen, monetären, (geo-)politischen und unternehmerischen Parameter, gründlich angepasst. Lassen Sie uns diese Punkte in den folgenden Abschnitten kurz durchgehen.
Wirtschaft: Anschnallen!
Die Wirtschaftsnachrichten in den Sommermonaten haben die Anleger nicht gerade erfreut. Vor allem die zunehmenden Signale über eine Verlangsamung des US-Wirtschaftswachstums gaben zu denken. Sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch im verarbeitenden Gewerbe und beim Verbrauch deuteten die Indikatoren auf eine Verlangsamung der Wirtschaft hin. Joe Sixpack, der ewig konsumsüchtige Amerikaner, hat in der Tat eine schwere Zeit. Seine Ersparnisse aus der Covid-Periode sind aufgebraucht, so dass er plötzlich die vollen Auswirkungen der vergangenen Zinserhöhungen und der Inflationswelle zu spüren bekommt. Dies macht sich in den stark steigenden Zahlen der Zahlungsausfälle bei Verbraucherschulden (Kreditkarten, Autokredite, …) und in einem sich verhärtenden sozialen Klima bemerkbar. Letzteres zeigt der jüngste soziale Konflikt bei Boeing, wo die Arbeitnehmer einen Vorschlag für eine Lohnerhöhung von nicht weniger als 25 % als unzureichend bezeichneten und prompt in den Streik traten.
Diejenigen, die gehofft hatten, dass die Auswirkungen des verlangsamten US-Wirtschaftswachstums teilweise durch eine Erholung der chinesischen Wirtschaft aufgefangen werden könnten, werden ebenfalls enttäuscht sein. Die von den chinesischen Behörden angekündigten Maßnahmen zur Stützung der schwächelnden Wirtschaft erwiesen sich als „zu wenig“ oder „zu spät“. Sie waren völlig unzureichend, um die in eine Deflationsspirale abgleitende Wirtschaft zu stützen. Die Tatsache, dass die chinesische Zentralbank Ende des dritten Quartals ein weiteres erweitertes Konjunkturpaket ankündigte, deutet auf eine wachsende Frustration über das Versagen der Regierung bei der Konjunkturbelebung hin. Es bleibt jedoch die Frage, ob dies ausreichen wird, um den chinesischen Wirtschaftsmotor wieder anzukurbeln. Doch auch Europa scheint völlig unfähig zu sein, seine seit langem kränkelnde Wirtschaft wiederanzukurbeln. Tatsächlich scheint sich die Malaise, von der zum Beispiel die einst mächtige deutsche Industrie betroffen ist, nur noch zu vertiefen.
Geldpolitik ändert endlich ihren Kurs
Natürlich gingen die sich häufenden Signale einer sich abschwächenden Konjunktur nicht spurlos an den Zinsmärkten vorbei. Die Hoffnung auf eine baldige US-Zinssenkung Ende Juni wurde schon fast aufgegeben. Aber der Druck auf die FED (US-Zentralbank), die Wirtschaft über niedrigere Zinssätze zu stützen, nahm überdeutlich zu. Langsam sinkende Inflationsraten stützten diese Tendenz. Die systematisch sinkenden langfristigen Zinssätze (siehe Grafik unten) zeigten, wie sehr die Erwartung sinkender Zinssätze an Zugkraft gewann. Der FED-Vorsitzende Powell änderte daraufhin seinen Kurs, und schließlich senkte die Fed die Zinsen um satte 50 Basispunkte. Auch die EZB (Europäische Zentralbank) senkte ihren Zinssatz um weitere 25 Basispunkte. Damit scheint der lang erwartete Weg zu niedrigeren Leitzinsen endlich begonnen zu haben.
Ein Land ruderte gegen den Strom der niedrigeren Zinssätze: Japan. Japan hob sogar seine Zinssätze zum ersten Mal seit 17 Jahren, an! Dies lösten jedoch eine finanzielle Kettenreaktion aus, die zu einer Schockwelle auf den Märkten führte. Viele spekulative Marktteilnehmer hatten massenhaft billige Yen-Kredite aufgenommen und das Geld in höher verzinste Währungen oder Aktien umgewandelt. Die sich verengende Zinsdifferenz zwang die Anleger aber ihre Positionen umzukehren, so dass dutzende von Milliarden an Positionen in kurzer Zeit verkauft werden mussten. Diese Auflösung des Yen-Carry-Trade trug dazu bei, dass die Aktienmärkte Anfang August stark nachgelassen haben.
Politische Konsternation in den USA und Frankreich, Ukraine in der Offensive
Neben all diesen wirtschaftlichen Verschiebungen mussten die Anleger auch mit (geo-)politischen Veränderungen rechnen. Bestürzung herrschte in den Vereinigten Staaten, wo Joe Biden nach einer miserablen Leistung in der Debatte schließlich sich selbst und dem wachsenden Druck seiner Partei gegenüber eingestand, dass er Kamala Harris den Vortritt lassen musste. Dies belebte den Wahlkampf der Demokraten und Harris kletterte in kürzester Zeit in den Umfragen auf gleiche Höhe mit Trump. Dass Trump seither 2 Anschlägen entgangen ist, zeigt auch, wie hoch das Risiko politischer Gewalt in den Vereinigten Staaten geworden ist, und so mancher Beobachter fiebert daher dem entgegen, was in den kommenden Monaten passieren könnte.
Unterdessen spielte sich in Frankreich eine weitere schäbige politische Seifenoper ab. Macron löste das Parlament nach der Niederlage seiner Partei bei den Europawahlen auf und wurde prompt mit einem Wahlsieg der vereinigten linken Opposition konfrontiert. Ohne eine tragfähige Mehrheit muss er nun die Kontrolle über Frankreich wackligen Staatsfinanzen zurückgewinnen. Aus dem anhaltend hohen Zinsdifferenz zwischen Frankreich und Deutschland kann man schließen, dass die Märkte die Situation mit großer Sorge betrachten.
Die geopolitische Überraschung dieses Sommers war jedoch die Offensive der Ukraine gegen Russland. Zur Überraschung vieler ist es der Ukraine gelungen, über 1.000 km² in der Region Kursk zu besetzen. Die Tatsache, dass ihr Hauptziel darin besteht, sich eine stärkere Position am Verhandlungstisch zu sichern, könnte darauf hindeuten, dass diplomatische Lösungen für diesen anhaltenden Konflikt in Betracht gezogen werden. Was man von der nach wie vor aussichtslosen Lage im Nahen Osten nicht behaupten kann, wo die Spannungen noch weiter zunehmen.
Wirtschaftsnachrichten: Zurück zur Realität?
Als ob all diese rasanten Entwicklungen im wirtschaftlichen und politischen Umfeld für die Märkte nicht schon genug wären, begannen sich die Anleger plötzlich auch noch Sorgen darüber zu machen, dass sie die Bewertungen der KI-Cluster-Unternehmen in ungeahnte Höhen getrieben haben könnten. Obwohl die von den Tech-Giganten für das zweite Quartal veröffentlichten Ergebnisse immer noch den Erwartungen entsprachen oder diese sogar übertrafen, äußerten die meisten eine gewisse Vorsicht hinsichtlich der Zukunftsaussichten. Dafür wurden sie von scheinbar unangenehm überraschten Anlegern mit teilweise drastischen Kurseinbrüchen konfrontiert. Damit scheint die dringend benötigte Debatte darüber, wo die vielen Milliarden, die in KI investiert wurden umgeschichtet werden sollen, endlich eröffnet zu sein. Solange das wirtschaftliche Potenzial der KI-Technologie nicht an einem klaren Ertragsmodell festgemacht werden kann, scheint diese kritischere Haltung der Märkte durchaus angebracht!
Die wirtschaftliche Katharsis verlangt nach Maßnahmen!
Das vergangene Quartal war voll von sehr fundamentalen Entwicklungen, die eindeutig auf eine Trendwende hindeuten. Der Weg zu niedrigeren Zinsen, der lange erwartet wurde, ist nun endlich vorgezeichnet. Angesichts des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds, mit dem wir konfrontiert sein werden, sollten wir nicht sofort vor Freude in die Luft springen, aber es macht die Dinge klarer.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist offensichtlich eine Phase der Katharsis eingetreten. Hauptsächlich in Europa, wo die Fehler der Vergangenheit aufgearbeitet werden müssen. Dazu gehört die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Produktivität. Der Draghi-Bericht über die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit Europas hat deutlich gezeigt, dass ein anderes politisches Fass aufgemacht werden muss, um all diese Probleme anzugehen. Für eine uneinheitliche Regulierungspolitik wird es keinen Platz mehr geben. Die europäischen Länder, die vor mehr als einem Jahrzehnt im Zentrum der Schuldenkrise standen, haben heute (mit der Ausnahme Italiens) ihre Finanzen perfekt im Griff. Während die Hochburgen von einst (Deutschland und Frankreich) in Schwierigkeiten stecken; dies sagt einiges aus. In der Zwischenzeit weiß die Öffentlichkeit nur zu gut, dass diese Sanierungspolitik ein notwendiges Übel ist, das drastische und manchmal schmerzhafte Maßnahmen erfordert.
Auch auf den Märkten scheint eine Phase der „Gewissensprüfung“ eingetreten zu sein, in der die Anleger wieder auf dem Boden der Tatsachen zurückkehren. Es ist also höchste Zeit für eine nachhaltige „Preisfindung“ auf der Grundlage einer fundamentalen Cash-Generierung. Der Hype um die künstliche Intelligenz hat in der Tat das Signal der freien Geldschöpfung untergraben. Auch die zunehmenden staatlichen Eingriffe in das Wirtschaftsleben haben dazu beigetragen. Wenn wir jedoch ein neues Gleichgewicht zwischen ausreichender wirtschaftlicher Selbstversorgung, sozialer Stabilität und ökologischen Zielen finden wollen, werden wir keine andere Wahl haben, als marktbestätigte, rentable Projekte mit ausreichend Kapital auszustatten.
Und das ist genau das, wozu wir als aktiver Vermögensverwalter beitragen. Die letzten Monate waren sicherlich schwierig für CapitalatWork. Aber es ist nicht das erste Mal, dass sich die Anlegergemeinschaft vorschnell bereichert hat, indem sie massiv Unternehmen mit großem Wachstum kaufte, die sich im Nachhinein als überteuert erwiesen. Die Zukunft wird zeigen, ob dies erneut der Fall ist. Viele weisen darauf hin, dass die jetzige Situation sich anders darstellt als die Technologieblase im Jahr 2000. Aber wer hat denn gesagt, dass die gefährlichsten Worte in Finanzkreisen „dieses Mal ist es anders“ sind?